2016

Das Jahr des Neubeginns.

Über den Winter mutierte mein lästiger Mückenschwarm zum stechlustigen Wespenvolk. Das war nun kein Spaß mehr. Die Bilder suchten mich quasi im Minutentakt heim. Mich störte die Nähe anderer. Ich hatte Schmerzen im Körper, wo ich noch nie welche hatte. Mein Puls war und blieb auf Dauerhoch. Ich schlief nicht mehr anständig. Alpträume mischten sich bei. Ich war gereizt, hatte zu nichts mehr Lust. Vor allem aber ertrug ich den Kontakt zu meinen Eltern nicht mehr. Ich wollte meinen Vater nicht mehr umarmen, wenn wir uns trafen. Ich ertrug das Gejammer meiner Mutter nicht mehr, dass ich ja niiiie anrufen würde (nach 2 - 3 Tagen)...
Ich verstand, dass ich Hilfe brauchte.
Ich suchte im Internet - Beratungsstellen - irgendwas. LOS! Spuck was aus! Egal was - ich brauche JETZT Hilfe - sofort. Zwei Dinge saßen mir im Nacken: diese Flashbacks und meine Eltern. Beides schaukelte sich in mir zu einem unguten Cocktail hoch.
Das Internet spuckte brav Telefonnummern und Anschriften von Beratungsstellen aus. Ich las. Und so wie ich es las, spuckte mein Gehirn die Informationen gleich wieder aus. Es war total verrückt. Hätten diese Informationen auf chinesisch dagestanden, wäre das auch nicht schlimm gewesen. Das Ergebnis wäre gleich geblieben. Ich begriff, ich war schon unfähig mir selbst Hilfe zu holen...!
Die Angst und Panik begannen ihren Würgegriff an meiner Kehle.
...es gab nur eine Lösung: Wenn ich mich aus dem Leben nehme, bin ich beides los... die belastendenden Erinnerungen UND meine Eltern... (...und sie bleiben integer, alles würde verdeckt bleiben - nur ich bin eben nicht mehr da.)
Auf meinem Handy ploppte die Nachricht einer Freundin (auch ein 🌟!) auf; ob denn meine Bauchschmerzen von neulich wieder weg seien. Ich antwortete mit "Nein" und verwies auf ein "Großprojekt"... Wir schrieben ein wenig hin und her, ohne etwas Genaues auszutauschen und dennoch deutlich genug, dass ich kurzerhand den Kontakt zu meiner psychotherapeutischen Ärztin auf dem Telefon hatte.
Die rief ich dann zur Telefonsprechzeit an. Natürlich verwies sie auf ein halbes Jahr Wartezeit. Das hatte ich mir gedacht und daher erstmal nach Beratungsstellen gesucht... Gruppentherapie könnte sie schon eher anbieten. Ich verneinte - DAS könne ich in keiner Gruppe erzählen. Sie fragte nach dem Warum.
Ich war ganz still am Telefon. In mir brüllte es extrem laut die Antwort heraus. SPRING! JETZT! Du musst, sonst bist Du verloren!
"Ich wurde als 10-jährige sexuell missbraucht."
Jetzt war es am anderen Ende der Leitung ganz still...
Kurz darauf begann sie im Kalender gemeinsam mit mir einen zeitnahen Termin für ein Vorgespräch raus zu suchen. Das hat mich definitiv gerettet.

Seither begleitet sie mich durch Höhen und Tiefen meines Weges. Immer mit genau der richtigen Menge Energie. Behutsam ausgewählt und dosiert...
Als erstes war klar, dass eine Trennung von meinem Täter her musste, sonst kann sie mir nicht helfen. Bis zur 7. Sitzung hatte ich diesen Schritt geschafft: Ich hatte zwischen meinen Eltern und mir Platz zum Überleben geschaffen.
Nach diversen Vorarbeiten zur Stabilisierung schafften wir sogar erste EMDR-Sitzungen noch vor dem Winter. Diese ungnädige Bilderflut lies endlich nach...
Noch vor Jahresende lernte ich auch meine zweite Therapeutin kennen. Sie arbeitet mit prä- und perinataler Psychotherapie. Somit ist sie für meine Erlebnisse im vorsprachlichen Bereich zuständig.

Und noch etwas gelang mir, bevor das Jahr zur Neige ging: Ich konnte meiner damaligen Freundin endlich erklären, warum wir im Jahr zuvor so schwer scheiterten. Das war eine große Erleichterung für uns Beide. Abstand halten wir noch immer. Es ist nicht mehr wie früher. Aber es ist für uns Beide in Ordnung, so wie es jetzt ist.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Arbeit mit EMDR (4-Felder-Technik)

Die Baumübung

Ich