Arbeitsleben mit ESD

Im Übrigen gilt das Folgende nicht nur für ESD, sondern für alle (die meisten) Einschränkungen, welche Menschen so haben können.



Ich habe das riesengroße Glück (und weiß das sehr zu schätzen*) seit 11 Jahren in einem Unternehmen zu arbeiten, welches mir Bedingungen bietet, um weiterhin arbeiten gehen zu können.
Meinem Chef (Danke!) ist es sehr wichtig zu schauen, was seine Mitarbeiter besonders gut können. Wo liegen also Stärken? Und wie kann ich diese so nutzen, dass beiden Seiten etwas davon haben? Wo liegen Schwächen? Kann dort noch etwas gefördert werden? Oder sind es Bereiche, die vielleicht eher ein anderer Mitarbeiter übernehmen kann?

Unterm Strich heißt das für mich, dass ich in bestimmte Aufgabenbereiche gar nicht erst einbezogen werde, einfach weil ich sie nicht leisten kann. (Der Durchschnittsunternehmer würde spätestens jetzt einen Aufschrei ausstoßen!) Stattdessen übernehme ich gerne Aufgabenbereiche, die andere als Last empfinden, mir jedoch gut tun.
Ebenso nimmt meine Kollegschaft auf Arbeit Rücksicht, wenn sie mir Dinge mehrmals erklären müssen, weil ich sie wieder vergesse. Oder wenn mich schlicht nicht mehr erinnern kann, dass ich etwas überhaupt bearbeitet habe, auch wenn dort nachweislich zB. meine Schrift steht. Keiner mosert, wenn ich mich kurz zurück ziehen muss, um mich zu "reseten". Wenn ich ein paar Minuten vor die Tür muss, weil mich etwas getriggert hat. Keiner wundert sich, wenn ich mal wieder ne Viertelstunde im Anorak eingemummelt dasitze, weil ich wieder mal eine meiner Kälteattacken habe. Sie alle gehen achtsam mit mir um und das tut gut. (Ich danke Euch allen so sehr dafür!!!)
Und doch: Auch bei uns herrscht Stress und Hochbetrieb auf Arbeit. Wir sind sehr oft am Limit. Seit Jahren bräuchten wir größere Räumlichkeiten (ein Umzug o.ä. ist aus bestimmten Grüden jedoch nicht so einfach machbar). Dann wäre auch die Einstellung weiterer Mitarbeiter möglich.
Bei uns wird niemand "runter geputzt", wenn er mal etwas "versemmelt" hat! Wir vertrauen uns und wir ziehen alle an einem Strang. Kleinere Unstimmigkeiten besprechen wir. Untereinander oder bei Bedarf im Team.

Im Grunde geht es also darum, Langzeiterkrankte nicht in Krankschreibung, EU-Rente oder Hartz IV in der Tatenlosigkeit zu parken, sondern eher Bedingungen zu schaffen, in der sie trotz ihrer Einschränkungen einer Beschäftigung nachgehen können. Auch wenn diese Arbeit von außen betrachtet vielleicht einfach ist oder eintönig erscheint, so kann es für den Betroffenen doch eine Aufgabe sein und damit auch eine Wertschätzung seiner Person.
In Behindertenwerkstätten wird diese Form der Erwerbstätigkeit gelebt. Für Menschen mit "unsichtbaren Erkrankungen" wird dies erheblich schwieriger. Es gibt keine Bestimmungen oder Projekte dazu. Man kann derzeit nur hoffen, dass Kollegen und Chef so "mitschwingen", wie es für einen selbst gut ist und dann auch wieder zum Wohle der Firma, in dem man trotz Einschränkungen ein vollwertiger Mitarbeiter bleibt - mit aller Wertschätzung, Befriedigung und sozialen Kontakten, welche der Arbeitsplatz nun mal so mit sich bringt. Das trägt definitiv zur Stabilität der ohnehin oft schwierigen Lebenssituation bei.

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* Die ersten 6 Jahre meines Arbeitslebens verbrachte ich in einem Unternehmen, wo "chefseitig" Mobbing nahezu täglich an der Tagesordnung war.
Kleinste Unachtsamkeiten oder "Vergehen" wurden mit Abmahnungen oder Kündigungsandrohung geahndet. Bloßstellung vor anderen Mitarbeitern und Kunden gehörte ebenso dazu.
Meine Arbeit war nie gut genug. War sie doch mal gut genug, dann war es der Verdienst der Chefin, welche mich erst zu dieser ausgezeichneten Arbeit gebracht hatte - also nicht mein Werk.
Korrekte Entscheidungen meinerseits wurden vorm Kunden "abgeändert". Danach folgte ein Gespräch, warum meine "richige" Entscheidung falsch war. Stellte sich Wochen später heraus, dass meine "richtige" Entscheidung sich nun doch als korrekte Lösung erwies, wurde nicht mehr darüber gesprochen. (Mir waren so oft Dinge vor Kunden peinlich! Ich habe oft den Kopf hingehalten, obwohl es nicht meine Sache war.)
Ich bin krank geworden davon, erkannte dass jedoch erst sehr spät. Lange Zeit schaffte ich es nicht, dieses Arbeitsverhältnis zu beenden, obwohl es hochtoxisch für mich war!
Heute arbeite ich mit einem Kollegen zusammen, welcher ähnliche Erfahrungen in diesem Unternehmen während seiner Lehrzeit gemacht hat. Allerdings zu einer Zeit, in der es über meine damalige Chefin immer hieß: "So schlimm, wie früher ist sie längst nicht mehr!"
So long...

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