An meine Mutter

...sicherlich war es auch für Dich nicht leicht...: Du bist aufgewacht, kein Baby war mehr in Deinem Bauch. Doch wo ist es geblieben? Wie geht es ihm? Ist es ein Mädchen oder ein Junge?
Das haben sie Dir bestimmt alsbald verraten, dass ich ein Mädchen bin. Dann durftest Du mich auch sehen. Der erste Stillversuch ging schief. Man sagte Dir, Du könntest nicht stillen. So bekam ich die Flasche. Diese kurze Zeit war es auch nur, welche wir in den ersten 2 Wochen miteinander verbringen konnten.
Dann durften wir heim - "heim" hiess, in die Wohnung Deiner Schwiegermutter (meiner Oma). Ich weiß noch, dass diese Wohnung riesig war. Dennoch muss es eng gewesen sein für uns als Familie mit so vielen Menschen. (3 Familien, soweit ich weiß.
Vielleicht ging es mir auch nicht gut - jedenfalls begann ich meine Mahlzeiten wieder komplett auszuspucken und landete erneut in der Klinik. Bis ich ein Vierteljahr alt war.
Es muss schrecklich für Dich gewesen sein, mich an einer Tür einem fremden Menschen in die Arme zu geben, nicht wissend, wann wir uns wieder sehen würden.
Natürlich habt Ihr mich besucht. Aber Ihr durftet mich nur durch eine Glasscheibe betrachten. Berührungen, Nähe, Kontakt - all jenes, was nach unserem schwierigen Start miteinander so händeringend notwendig gewesen wäre, war einfach nicht möglich... Wie traurig muss das auch für Dich - für Euch - gewesen sein...!

Dieses schwere Bindungstrauma hat offenbar doch nur eine sehr fragile Bindung zwischen uns Beiden zugelassen.
Schon lange war ich auf der Suche - nach Mutter, nach Bindung, nach Wärme und Nähe. Als Kind schon. Als Jugendliche.
Ich habe auch bei Dir "gesucht"... War ich geduldig genug? War ich hartnäckig genug? Ich habe sicher einiges davon bekommen, was ich suchte. Doch offenbar hat es nicht gereicht. Ich suchte immer weiter - immer weiter... Ich suchte bei anderen. Irgendwann, irgendwie hast Du das auch bemerkt. Ein paar Mal hast Du geäußert: "Du hängst Dich immer so sehr an andere Menschen." Das war schon ein Aspekt meiner heutigen Erkrankung. Das hast Du ganz passend wahr genommen. Aber diese Erkenntnis muss Dich auch verletzt haben! Ich suchte bei anderen etwas, was ich mir eigentlich von Dir hätte wünschen müssen. Bestimmt habe ich es mir auch gewünscht, jedoch nicht bekommen. Nicht so, wie ich es gebraucht hätte.
Ursache ist die zu geringe Bindung zwischen uns durch die Trennung. Es tut mir leid für uns Beide, dass dies alles so passiert ist.
Die Zeit lässt sich nicht zurück drehen. Wir müssen lernen mit den Gegegebenheiten und mit allem, was danach passiert ist, umzugehen.

Die Unfähigkeit über alles zu sprechen und die, durch die Absage höher gewachsenen Mauern, machen es nicht einfacher. Die Kluft ist eher größer geworden. Leider.

So wünsche ich uns Beiden einfach ein kleines, großes Wunder, wie auch immer das aussehen möge.

Von Deiner Tochter

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