Warum ich noch immer zur Arbeit gehe...

...sooo schlecht kann es mir ja gar nicht gehen...! 

Anfänger / So schlimm ist es gar nicht / Du denkst Dir das doch aus / Sonst würdest Du ja zusammen klappen / Anderen geht es noch viel schlechter, als Dir / Simulant...

Doch, es geht. Ich kann arbeiten gehen. Zumindest den aller größten Teil der Zeit. Ich habe dadurch eine Aufgabe und Struktur im Tag. Habe soziale Kontakte zu Kollegen und Kunden. Ich habe Ablenkung.
Aber ich komme auch immer wieder an meine Grenzen. Muss mir meine Energie genau einteilen. Gerate an Kunden, wo mich irgendwas triggert und es mir dann schlechter geht. Momente, wo ich den Kopf derartig voll habe, dass ich mich kaum darauf konzentrieren kann, was mir mein Gegenüber gerade erzählt. Ich brauche mehr Verschnaufpausen, vergesse recht viel. Dennoch versuche ich mein Team so gut zu unterstützen, wie ich nur kann...

Denn es lohnt sich: Ich habe auf Arbeit das beste Team der Welt!!! Und nicht nur das: Ich habe auch den besten Chef der Welt!!! Diese Menschen sind der Grund, warum ich nicht seit reichlich anderthalb Jahren auf Dauer durchgehend krank geschrieben bin. Sie schaffen den Rahmen und die Bedingungen dafür, dass ich weiter im Berufsleben bleiben kann. Damit ersparen sie mir Sorgen um Einkommensverluste und Sorgen um meinen Arbeitsplatz. Damit tragen sie mich ein Stück weit auf meinem Weg, der alles andere als einfach ist. Ich verspüre so viel Dankbarkeit dafür. Ich habe viel Glück, dass ausgerechnet dieser Job in diesem Team bei diesem Unternehmen der meine ist!

Normaler Weise macht man sich als Arbeitnehmer schon halb in die Hosen, wenn man sich länger als eine Woche krank melden muss. Manche machen sich auch schon unter einer Woche Krankmeldung in die Hosen. Weil sie es müssen. Weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Weil im Team getuschelt wird, warum man fehlt. Weil erst dann Konkurenzkämpfe so richtig aufblühen, weil während der eigenen Fehlzeit die Einflussnahme auf das Geschehen fehlt. Weil es in der Chefetage murrt und motzt.
Als ich heute von einem Spaziergang zurück kam, fand ich eine Sprachnachricht meines Chefs vor: Er hatte bemerkt, dass es mir in letzter Zeit wieder deutlich schlechter geht. Deshalb machte er mir quasi Mut, dass ich mich gerne rausnehmen lassen kann, wenn ich es nicht mehr schaffe, weil ich eine Pause brauche. Ich hätte ihm um den Hals fallen können! Er steht fest hinter mir, obwohl er nicht einmal konkret weiß, worum es geht. Er weiß nur, dass ich an einem mächtig dicken Brocken herum kaue.

Ich weiß das sehr zu schätzen, denn ich habe es leider auch ganz anders kennen gelernt. Während meiner Ausbildung und den ersten 3 Gesellenjahren habe ich Erfahrungen mit Mobbing machen müssen. Ich musste niedere Aufgaben erledigen, die keineswegs zu meiner Ausbildung gehörten. Wegen kleinster Fehler wurde ich systematisch erniedrigt und abgewertet. Für kleinste Vergehen gab es Abmahnungen und Kündigungsandrohungen. Das wurde so schlimm, dass ich von Sonntag zu Montag praktisch gar nicht mehr schlief. Mein Körper reagierte mit einem Reizdarmsyndrom: schlimme Durchfallattacken - im Extremfall mit Erbrechen - wurden meine ständigen Begleiter. Ich lebte ständig in der Angst, ich könnte wieder etwas falsch gemacht haben. Lob gab es vor allem in der Lehrzeit nie. Der Lehrling, welcher nach mir begonnen hatte, wurde vorgezogen, gelobt, mit besseren Aufgaben beauftragt.
Ich traute mich nicht, Dinge offen anzusprechen. Ging krank auf Arbeit (fehlte über Jahre nicht einen einzigen Tag). Ich traute mich nicht einmal, mich woanders zu bewerben. Unsere Branche ist recht klein - man kennt sich. Ich war mir sicher, dass man mich bei einem neuen Arbeitgeber schlecht reden würde. Erst nach 6 Jahren gelang mir der Absprung.

Somit bin ich umso stolzer auf dieses kleine, innovative und total coole Unternehmen, in dem ich heute arbeite!!! Danke!

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