Die Versäumnisse einer verlassen(d)en Tochter

...wir waren zum Shoppingbummel losgezogen. Etwa einmal im Jahr haben wir das gemacht. Ganz ohne Mann, Kind und Kegel - nur wir 2 Weiber ganz allein. Inzwischen war es Nachmittag geworden und wir gönnten uns eine Verschnaufpause auf dem aussichtsreich verglasten Fressverdeck eines Einkaufstempels. Dazu gab es einen Kaffee und sicher auch eine kleine Stärkung - so genau weiß ich das nicht mehr. Wir sprachen über dies und das - saßen einfach noch eine Weile dort.
Plötzlich - wirklich völlig unerwartet - haut meine Mutter den Satz raus: "Dein Vater ist enttäuscht von Dir, weil Du nie studiert hast!"
Ich sitze vor ihr, bin wie geohrfeigt. Aus dem Nichts heraus!
Ich begreife kaum, was sie da gerade gesagt hat. Bin völlig perplex. Unfähig, irgendwie zu reagieren...
Ich habe noch etwas dazu nachgefragt, weil ich mir so unsicher war, ob ich da wirklich gehört hatte, was ich hörte...
Was tat ich???! Hallo altes Muster! Komm zu uns. Wir unterhalten uns gerade so nett. Ich rechtfertigte mich! Erklärte, welche Studienfächer mir gefallen hätten und warum ich sie nicht in Angriff genommen habe. Ich rechtfertigte, dass mich mein heutiger Beruf erfüllt und mir Freude bringt. Sie betonte noch einmal, wie schade es ist, das ich nicht studiert habe.

Bei mir kommt an:
Wir haben uns solche Mühe gegeben mit Dir.
Du hast nur einen einfachen Beruf erlernt - nicht studiert.
Du hast unsere Erwartungen nicht erfüllt.
Du bekommst nichts wirklich auf die Reihe.
Schau, was wir geschafft haben!
Wir haben Beide nebenberuflich studiert.
Wir hatten es viel schwerer als Du.
Du hast es heute so leicht und einfach.
Du hättest ein Studium schaffen müssen.
Du bist falsch.
Du bist nicht so, wie wir Dich gern haben wollen.
Du bist nichts wert...

Erst im Nachgang fielen mir Sätze ein, wie:
Warum sagst Du mir das?
Warum sagt er mir das nicht selbst?
Was bezweckst Du/er damit?
Denkt ihr, ich melde mich zum Sommersemester auf einen Studienplatz an?
Nur, damit ich Euren überhöhten Erwartungen an mich entspreche?

Es war unser letzter gemeinsamer Shoppingbummel im Spätwinter 2016. Es wird keinen mehr geben - nie wieder! Damals habe ich es schon gespürt. Die Atmosphäre zwischen uns war schon anders. Irgendein Schalter war schon umgelegt. Einer, der sich nicht mehr so einfach zurück legen lässt...

Wie konnte ich nur?!? Einfach nicht studiert!!! Ja sowas... Und dass bei diesen aufopfernden, guten Eltern...!?! Das hätte doch drin sein müssen.

Da saß ich mal wieder - mit 39 Jahren - ziemlich verlassen. Erniedrigt. Gedemütigt. Fertig gemacht. Nicht gehört. Nicht gesehen. Nicht angenommen.
Aber das Schlimmste daran war: Ich habe es nicht einmal bemerkt!

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