Verlassene Mutter gefunden...

...oder wie nach 6 Jahren befreiender Dialog entstand, wo vorher praktisch keiner war...

Vor gut einem Jahr lernte ich eine Frau im Alter meiner Mutter kennen. Unsere Verbindung war bislang eher lose. Dennoch gingen wir von Beginn an sehr umsichtig miteinander um. Man könnte auch sagen - wir haben uns von Anfang an gesehen & gespürt.

Als wir uns kennen lernten, hatte sie mitbekommen, dass ich in einer schwierigen Situation/Phase steckte. Es war einfach nicht zu übersehen und Menschen gegenüber, die mir wohl gesonnen sind, gehe ich auch offen damit um.
Heute trafen wir uns und fragten auch offen und ehrlich, wie es dem jeweils anderen geht. Keine von diesen beiläufig gestellten "Wie-gehts"-Fragen, die nichts anderes als Gut! zur Antwort offen lassen.
Sie erzählte von sich. Später ging der Ball weiter an mich. Ich marschierte offen nach vorn: gab zu, dass ich noch immer fest an meinen Themen arbeite und dass es vor einem guten Monat nochmal einen richtig lauten Knall dazu gab. Sie versuchte dann vorsichtig die Hauptrichtung meiner Baustellen ausfindig zu machen. Dann sagte ich ihr offen und ehrlich, dass es um Konflikte mit meinen Eltern geht und dass seit einem reichlichen Jahr ein Kontaktabbruch besteht.
In diesem Moment ging eine Tür auf, die ich erst im 2. Augenblick bemerkte. Sie erzählte mir, dass ihr älterer Sohn vor 6 Jahren den Kontakt zu ihr abgebrochen hatte.
Ich reichte ihr wortlos meine Hand...
Sie ist sehr selbstreflektiert und weiß um ihre "Fehler". Sagt selbst, sie habe den jüngeren Sohn Jahre später ganz anders erzogen. Beim Großen habe sie einfach die Fehler begangen, welche auch ihre Mutter bei der Erziehung an ihr begangen hatte. (Vom Opfer zum Täter... Weitergabe erlebter Traumata... usw.) Ihr ist bewusst, dass sie genauso mit ihrer Mutter brechen oder eben klären müsste. Da sie hoch betagt ist, geht weder das eine, noch das andere wirklich gut. (Nebenbei bemerkt bin ich mir sicher, dass sie es beide als Mütter so gut gemacht haben, wie sie es unter den gegebenen Umständen konnten. Eben das, was ich für meine Eltern genauso unterschreiben würde...)

Fatal ist, dass sie in den vergangenen 6 langen Jahren nie mit jemandem so offen darüber gesprochen hat, wie heute mit mir. Sechs unerträglich lange Jahre mit einem quälenden Tabu. Heute hat sie es ein Stück weit gebrochen. Endlich.

Zum Abschied erzählte sie mir noch kurz über ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Geriatrie: Wie viele alte Menschen es dort gibt, die ihr über den Kontaktabbruch ihrer eigenen Kinder erzählen.
Im Internet las ich immer wieder über eine gesellschaftliche Katastrophe. Eine Unsichtbare?!? Im weit entfernten Familienkreis (also wirklich über die sprichwörtlich 100 Ecken!), kenne ich einen Fall. Oma und Enkelin haben Kontakt. Dazwischen "Mutter&Tochter", die abgebrochen hat und mit der gebrochen wurde...
Sonst kenne ich niemanden in dieser gesamtgesellschaftlichen Katastrophe.
Weil es wirklich ein absolutes Tabu ist und zwar auf beiden Seiten.
Ein Tabu, was wir nur nach und nach sprengen und aufarbeiten können, wenn wir lernen, einander zu verstehen. Verstehen, warum damals so und nicht anders gehandelt wurde. Verstehen, warum diese Verletzungen so abgrundtief schmerzen. Verstehen und vielleicht auch ein wenig verzeihen. Vorsichtig. Ein bißchen. Immer soviel, wie gerade geht und in Ordnung ist. Und langsam. Mit Zeit.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Arbeit mit EMDR (4-Felder-Technik)

Die Baumübung

Ich