SkiUNheil

...oder wie Familienfreizeit aussah.

Ziemlich bald nach der Wende sind wir im Bayrischen Wald gewesen zum Winterurlaub. Meine Eltern und ich zum Langlaufski fahren, wie wir es vor der Wende auch schon getan hatten. Nur, dass es eben nun nicht mehr unbedingt ins Erzgebirge oder in den Harz ging, sondern stattdessen in die alten Bundesländer.
Jetzt beim Zurück-Erinnern und Aufschreiben fällt mir auf, dass Urlaub vor der Wendezeit deutlich harmonischer war, als danach. Nicht nur auf Ausflügen und Skiwanderungen blieb es meist streitfrei; es war auch geselliger. Abends saßen sie mit anderen Erwachsenen zusammen - plauderten, lachten oder spielten Karten.

Nach der Wende war es irgendwie anstrengender. Die Leichtigkeit war weg:
Auf der Skiwanderung, an die ich mich erinnere, donnerte mein Vater mit Affengeschwindigkeit die Loipe vor uns entlang. Ich hätte gut mithalten können, bemerkte jedoch, dass meine Mutter immer weiter abfiel. Also lies ich mich alsbald etwas zurückfallen, um zu schauen, dass es ihr gut geht und sie noch halbwegs hinterher kommt. Dann wieder legte ich mich ins Zeug und spurtete vor, um zu meinem Vater aufzuschließen. Mit der Zeit dauerte es eine Weile, bis ich ihn wieder in Sichtweite bekam.
Nun war jedoch der Sichtkontakt zu meiner Mutter abgerissen. Also wartete ich. Mein Vater sprintete nach einem kurzen Moment des Wartens wieder los. 'Ihm würde sonst viel zu kalt werden...'
Irgendwann war auch meine Mutter heran gefahren. Mit gerötetem Gesicht, schnaufend und spürbar zornig. '...warum er denn so schnell und so weit voraus laufen müsse...' & '...ob er denn nicht mal warten könne...'
Ich überbrachte die Botschaft, dass ihm sonst kalt wäre... Nach kurzem Verschnaufen setzten auch wir uns wieder in Bewegung. Mein Vater war erneut außer Sicht. Ich versuchte auf meinen Skiern pendelnd durch Abwarten oder Aufschließen, durch zurück fahren oder wieder vorpreschen den Kontakt zu Beiden und zwschen beiden zu halten. Wie ein Bote, der immer schneller und immer weiter flitzen muss, um die Distanzen zwischen Beiden zu überwinden.
Als ich wieder dabei war zu schauen, was an der Spitze los ist, machte mein Vater gerade die Zigarette aus und hauchte sich in die Hände. 'Wo bleibt ihr denn?' oder so etwas in der Art war seine Nachfrage. 'Ich friere', seine Anklage. Seine Finger waren weiss und taub geworden. (Danke, liebe Zigarette! Hast die Blutgefäße noch enger zusammen gezogen, als sie ohnehin schon waren... Dankeschön!)
Während wir auf meine Mutter warteten, begann er zu jammern: 'Ihm sei so derartig kalt!!!' 
Kein Wunder! Dadurch, dass er sich selbst vorher zu Höchstleistungen angetrieben hatte, war er bis auf die letzte Faser nassgeschwitzt. Nun kühlte er ab und begann zu frieren. Als meine Mutter mit Sauertopfmiene heran war, stellte sie fachmännisch genau dieselben Fakten fest, welche ich mir vorher schweigend gedacht hatte. Nun ballerte die Schuldfrage darum, zwischen beiden hin und her... eine Schneeballschlacht wäre mir eindeutig lieber gewesen. Da ihm wirklich kalt war, waren im Moment eher Maßnahmen zur Schadensbegrenzung als Vorwürfe gefragt. Irgendwann kam die Einigung darauf, dass er irg.eine nasse Schicht aus- und dafür etwas anderes, trockenes aus dem Rucksack anzog. Nach ein paar mürrisch halbabgewehrten Schlucken heißen Tees, machte er sich alleine auf die schnelle Rückfahrt und ich fuhr mit meiner Mutter im Schlepptau in gemächlichem Tempo hinterher.

An diese Begebenheit aus den frühen Neunzigern habe ich lange nicht gedacht. Als sie mir gestern wieder einfiel, fand ich sie aber sehr symbolisch für diesen ewigen Kleinkrieg, den meine Eltern seit Ende der Achtziger miteinander führen... (und auch für meine eigene Position dabei) Nach außen hin preist meine Mutter gerne an, wie lange sie schon miteinander verheiratet sind (ja, über 50 Jahre mittlerweile!). Aber allein die Dauer einer Ehe, ist nun mal kein Qualitätssiegel. Es kann auch bedeuten, dass man einfach nie getan hat, was man schon lange hätte tun müssen... Palim.

Urlaub, Ausflüge, Freizeitgestaltung dieser Art gab es einfach zu viele. Beide hatten eine (meist schön gegensätzliche) Ansicht und ich war zwischendrin am vermitteln.
Es gab Urlaubsreisen, in denen sie sich derartig oft gezofft haben, dass ich am liebsten abgehauen und mit dem Zug alleine wieder heim gefahren wäre.

An Wochenenden war es ab einem bestimmten Punkt etwas harmonischer: Mein Vater machte seinen heiligen Mittagsschlaf und meine Mutter (nach dem sie einen eigenen Trabbi hatte) und ich zogen alleine los. Denn bis das heilige Schläfchen meines Vaters vorbei war, hatte in den Wintermonaten oft schon die Dämmerung eingesetzt.

Aber was war passiert??? Was war bis Mitte der Achtziger recht gut gelaufen, was dann mehr und mehr zerfiel...? Einige Teilantworten habe ich, klar. Meine Mutter hatte jahrelang eine Liebschaft. (Die hat mein Vater irgendwann zähneknirschend 'akzeptiert'. Dafür blieb sie bei ihm - oder so ähnlich.) Zumindest blieb 'er' bei seiner Familie und meine Mutter eben bei ihrer.

However... Meine 'Botenfunktion' sollte ich noch lange Jahre behalten; mal stärker, mal schwächer. Noch bis zu meinem Kontaktabbruch im Sommer 2016 hieß es immer wieder 'Sag deinem Vater...' & 'Sag Deiner Mutter mal...'
Erst 2015 kam mir im Spätsommer das erste Mal der Gedanke, dass diese Botenfunktion gar nicht meine Aufgabe sein sollte. (Zu dieser Zeit ging es mir schon realtiv schlecht, aber NOCH schaffte ich die Kompensation mit Ach & Krach.)

So denkt immer daran... versucht es bitte wenigstens...!!!

Die einzigen Schlachten in Familien sollten immer Kissen- & Schneeballschlachten bleiben.  😉

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