Wölkchen




Was ist ein Wölkchen? Oder eine Wolke? 
Ein Luftgemisch, an dessen Kondensationskernen kleine Wassertröpfchen haften, welche widerum das Licht diffus zerstreuen - es für uns watteweich und weiß erscheinen lassen.
Luft also mit ein bißchen Wasser. Ein Gasgemisch. Berühren Wolken unseren Boden, dann sind sie für uns als Nebel wahrnehmbar. Aber wir spüren Wolken nicht. Sie stellen für uns kein Hindernis dar. Wir wandern durch sie hindurch. Sie nehmen nur den Platz in Anspruch, welcher nach allem anderen noch übrig bleibt. 



Lacht es ? Heult es? Ich weiß es auch nicht...
Das eine ist mein Vater. Das andere meine Mutter.
Ich bin das Wölkchen.
Schon lange bevor ich dazu kam, gab es eine feste Diade mit klarer Rollenverteilung zwischen meinen Eltern. Mein Vater brauchte meine Mutter sehr (ohne es offensichtlich zu wissen). Ohne meine Mutter wäre es meinem Vater sicherlich nicht so einfach möglich gewesen, sich aus bestimmten familiären Strukturen (u.a. Alkoholeinfluss) zu lösen, um eigene Wege zu gehen. Meine Mutter löste ihn da heraus (und ich glaube ihr das). Sie erwähnte das mehr als einmal. 
Dann kam Wölkchen dazu. Eigentlich war in dem Kreis, der meine Eltern umgab gar kein richtiger Platz mehr. Doch ein Wölkchen passte gerade noch so hinein. Es nutzte den verbleibenden Platz, verhielt sich unauffällig und löste sich bei Bedarf gar völlig auf. Dennoch konnte man es mal vorzeigen wenn man mochte: Weiß, makellos und hübsch anzusehen ist bisweilen so mancher neidisch auf das Wölkchen gewesen oder auf seine Besitzer.

...unterm Strich sind und waren meine Eltern derart miteinander beschäftigt, dass es nur wenig Raum für meine Versorgung gab. Materiell war alles vorhanden und  vorallem meine Mutter machte mit so einigem Aufwand möglich, was es eigentlich nicht gab. (Waren z.B. Kindersachen knapp, kaufte sie Stoff und nähte selbst etwas für mich.) Vorallem von außen betrachtet wuchs ich gut situiert und bestens versorgt auf.
Der eigentliche Makel jedoch blieb unsichtbar: Meine Eltern waren sehr oft und über lange Strecken emotional nicht erreichbar für mich. Wahrscheinlich forderte ich es auch nicht besonders stark ein - vermutlich waren meine Zeichen dazu zu leise - Ich hatte mich von Beginn an oder zumindest sehr, sehr früh mit mir alleine eingerichtet - als Wölkchen eben...

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Auslöser für die Zeichnung war die therapeutische Frage, ob ich wütend wäre, dass mir mein Vater quasi meine Mutter weggenommen hat.
Wir überlegten eine Weile.
Es kann einem nicht weggenommen werden, was man niemals besessen hat. Also Nein. Aber wir hätten uns schon Eltern (und vorallem eine Mutter) gewünscht, wo wir nicht nur Wölkchen, sondern einfach Kind sein dürfen.

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Auslöser für das therapeutische Gespräch in Gänze war der 73. Geburtstag meines Vaters.
Organisiert hat die Feier am Abend in einem Restaurant meine Mutter. Eingeladen waren IHRE Geschwister mit Partnern. Seine verbleibende Schwester, welche hier in der Stadt lebt, war nicht zugegen. Mein Sohn ging gern hin; mein Mann etwas widerwillig, meine Tochter blieb fern und lernte für die Englischprüfung (sie hätte auch mitgehen können). Alibi.
Mein Mann und mein Sohn trafen als Vorletzte ein. Die Tafel war schon gut gefüllt. Neben meinen Eltern waren noch 3 Plätze frei. Zuletzt kam der Bruder meiner Mutter an, der dann nach meinem Sohn und meinem Mann noch den letzten freien Platz neben meinen Eltern abbekam.
Warum rücken alle soweit weg? Wollen "unter sich" sein?
Warum sind die Stühle neben meinen Eltern so beliebt wie matschiges Obst?
Warum gehen sie dann überhaupt hin? Peinliche Loyalität nehme ich an, die ich ohne Zweifel auch abliefern würde, wenn ich anstelle von jemandem der anderen Gäste wäre. Dennoch - reine Farce!

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Mittwoch: Draußen donnern die Bagger und LKWs mit den alten Pflastersteinen unserer Straße herum. Keiner da. Noch nicht...
Ich brauche Zeit allein.
Ich brauche alleine sein.
Wir brauchen Alleinsein.
Wir wollen uns verstecken.
                                  Für uns sein.
                                               Ausblenden...

Wir sind noch immer Wölkchen.

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