Zu gering geschätzt?

In einem Buch über die "Peredwischniki" (dt. Wanderer) - eine Gruppe von Künstlern in Russland vor mehr als 100 Jahren fand ich dieses Bild...:


Das Werk "Ausgewiesen" (1892) stammt vom dänischen Maler Erik Henningsen.
Deplatziert und wahllos wirken die geretteten Habseligkeiten der ausgewiesenen Bewohner. Schockiert, weitgehend ausdruckslos die Mienen der Familie. Weil nicht sein darf, was nicht sein kann. Und dennoch ist es so: ausgewiesen, verjagt, entwurzelt, heimatlos... Wohin denn nun? Wie kann es weiter gehen? Wo kann Zukunft gelebt werden?

...ganz so viel Hausrat konnten die meisten Ukrainer wohl nicht nach Mitteleuropa retten. Nicht wenige hatten indessen auf der Flucht vor Putins Bombenterror nur das bei sich, was sie am Leibe trugen.
Flucht. Vertreibung. Umsiedlung.
Wie immer man diesen Vorgang mehr oder weniger wahrheitsgetreu bezeichnen will...: Er stellt in jedem Falle eine tiefgreifende Entwurzelung von allem dar, was bislang als weitgehend selbstverständlich galt. Wohnung, Viertel, Nachbarn, Freunde, Arbeit, Sportverein...
Im Falle der Ukraine gesellen sich oft Traumatisierungen durch erlebte Bombenangriffe, Überfälle, den Verlust geliebter Mitmenschen oder gar der Anblick von auf grausame Weise Verstorbener dar... Was macht das mit den Menschen...? Was gar, mit deren Kindern, welche alles kaum weniger miterleben mussten?

Im Leserbrief der hiesigen Tageszeitung schrieb eine ältere Leserin (83 Jahre) Unglaubliches: Ihre Flucht mit Mutter und Geschwistern war damals geprägt von Angst, Hunger und der Gefahr des Erfrierens. Extrem schlimm! Ohne Zweifel... Aber dann schrieb sie; die Menschen, die hier ankommen, denen ginge es doch gut. Sie sind in Sicherheit, haben ein Dach über dem Kopf, haben warme Kleidung und satt zu essen. Zugang zu medizinischer Versorgung... Welche Geringschätzung! Ja, die "Körper" mögen besser versorgt sein, als der ihrige vor vielen Jahrzehnten. Was aber ist mit den Seelen? Die Wunden dort dürften genauso tief sein. 
Noch Anfang des Jahres 2022 dürfte der ukrainische Alltag ähnlich, dem unseren gewesen sein: Familienleben, Schule, Arbeit, Kita, Vereinsleben, Uni, Feste, Ausflüge... Einkaufen, Tanken, Gespräche an der Ecke, Abendessen mit Freunden, Meeting, Telefonate... Duschen, Essen, Schlafen, Kochen, Lernen, Putzen, Fernsehen, Aufräumen, Radio hören...

Jetzt ist alles anders. Entweder wenig Gewohntes in fremder Umgebung. Oder Nichts-mehr-wie-es-war in der völlig zerfetzten Heimat: Kein Strom, Wasser, Gas, Radio, TV, Telefonnetz, befahrbare Straßen (wie denn ohne Fahrzeug?!), Lebensmittel, Medikamente, sichere Unterkunft...

Zu Anfang dachte ich noch ganz naiv; dieser Krieg, dass ist/wird kein Krieg, wie früher. "Das macht doch heute niemand mehr!"
Bis - ja bis ich in den Nachrichten dieses Bild von diesem rießigen Wohnblock sah mit diesem gigantischen Loch in der Mitte. Einfach durchgeschossen - über mehrere Stockwerke hinweg... Doch! Das passiert mit der immer gleichen und wieder kehrenden Brutalität, wie in jedem Krieg.

Möge dieser weitere
sinnlose Krieg
schnellstmöglich enden!
🙏🏼



Beliebte Posts aus diesem Blog

Arbeit mit EMDR (4-Felder-Technik)

zündende Fragen

Die Baumübung