Ein überraschender Fund

Heute sind wir mit unserem Sohn in einem DDR-Museum gewesen. Dort gab es im Museumsshop auch einen großen Bücherfundus zum Wegkaufen. Neben "Timur und sein Trupp", "Ich bin die Nele" und "Der Tag an dem die Schule verschwand", fand ich einen wahren Schatz: "Matti"!

Ich kann natürlich nicht mehr sagen, wann genau ich dieses Buch das erste Mal in der Bibliothek ausgeliehen hatte, aber es war noch in der Grundschulzeit. Vielleicht war ich in der zweiten oder auch schon in der dritten Klasse. "Matti"


Ich mochte dieses Buch so sehr, dass ich es immer und immer wieder auslieh, obwohl ich längst andere, dickere Bücher zu ganz anderen Themen las.
Hier ein Foto der Innengestaltung - stellvertretend für eine Doppelseite aus Mattis Rechenheft. Und ja: So durfte damals kein Rechenheft aussehen! Das gab schon Ärger.


Matti, der eigentlich Matthias Dietrich heißt, geht in die zweite Klasse einer Berliner POS (Polytechnische Oberschule in der DDR). Seine Lehrerin heißt Frau Schmidt, die sich kaltblütig und mit einer ordentlichen Portion psychischem Sadismus an den Schülern weidet, welchen das Lernen deutlich schwerer fällt, als jenen, die mit Leichtigkeit und ohne große Mühe lernen.
Ja, Matti träumt viel und gerne im Unterricht und kann auch nichts richtig schnell - außer das Zähneputzen! Jeden Morgen wieder nimmt er sich vor, sehr gut aufzupassen, alles richtig zu schreiben und beim Rechnen ja keine Fehler zu machen. Aber wieder und wieder verteilt Frau Schmidt eine 5 nach der anderen. Sie ignoriert Matti, obwohl der sich redlich bemüht. Wieder und wieder lässt Frau Schmidt an Matti ihre Wut aus. Eines Tages diktiert sie 10 Wörter. Matti gibt sich allergrößte Mühe. Tatsächlich schreibt er nur ein Wort der 10 diktierten Wörter falsch! Aber es fehlen neun Kommas zwischen den Wörtern... Weitere neun halbe Fehler plus einen ganzen - wieder eine rote 5!

Die Geschichte von Matti, der später noch aufs Dorf ziehen wird und dort ganz andere Talente an sich entdeckt (zB. sich mutig am Wildschwein vorbei zu traien, dass am Feldrand steht), hat mich im Innen schon damals tief berührt. Matti ist eine Schatzkiste an Ressourcen! Immer wieder findet er Trost in seiner Phantasie und in seinem Tun und in seinen Träumen. Er schmiedet Pläne für seine Zukunft und beweist dabei oft große Intelligenz und Kreativität. Aber auch seine Eltern reagieren sehr verständnisvoll. Schimpfen nicht der schlechten Noten wegen... Selbst bei größerem Blödsinn bleiben sie noch ausgesprochen fair und gelassen. Sie stehen voll und ganz hinter ihrem Sohn. Verurteilen ihn nicht, aber leben klare Regeln und viel Liebe und Sicherheit vor. Damit stärken sie ihm den Rücken fürs Leben. 

Immer wieder habe ich mich in großen Abständen über die Jahrzehnte an Matti erinnert. Jedes Mal habe ich mich gefragt, was mich an Matti selbst so im Innen getröstet hat? Ja, dieses Buch hat mich getröstet beim Lesen. Die ersten heute gelesenen Seiten beweisen: Ich fühle noch genau so! Wieder tröstet mich dieses Buch beim Lesen.
Was immer der kleine Matti tut und träumt - es macht ihn stark und stärker. Er wächst von innen aus sich selbst heraus.

Was hatte (oder habe) ich mit Matti gemeinsam? Nun, langsam war ich auch bei allem, sogar beim Zähneputzen. Bei mir ging dafür das Lesen schnell. Natürlich fiel mir auch das Lernen in der Schule viel leichter als Matti. Aber im Rechnen sah mein Heft anfangs ähnlich aus. In meiner ersten Mathearbeit hatte ich nämlich eine glatte Vier! Ich hatte plus statt minus gerechnet. Hier und da hatte ich mehr geraten als gerechnet, weil ich nicht mehr richtig wusste, wie das nun gleich nochmal war... Dabei hatte ich mir solche Mühe gegeben! So wie Matti.
Und ich habe auch viel geträumt, so wie Matti. Oft war so manches für mich interessant, was keinem anderen auffiel. Oft fand sich dies und das an Schätzen in meinen Hosentaschen. So wie bei Matti: Was ist schon eine Mathestunde gegen eine schöne, lange Schraube?! 😉

Ich bin sehr froh, dass ich dieses Buch heute unter diesen vielen Anderen entdeckt habe. Ich habe dieses Buch quasi "erfühlt". Mein Mann ging dann mit meinem Sohn nebenan zum Einkaufen und ich MUSSTE zurück zu diesem Bücherstapel, da ich mir irgendwie sicher war, dort etwas zu finden. Oder: Das Buch hat mich gefunden. Ich weiß es nicht, aber jetzt sind wir wieder vereint - der kleine Matti und "wir"...


Hier seht ihr Matti mit seinem Freund Michael. Sie haben einen "Thron" entdeckt. Michael hat sich von Matti daran binden lassen, damit den Thron niemand stiehlt, bis Matti seinen Freund Jan geholt hat, der den Thron nach Hause tragen soll. Jan ist schon 18 und sehr stark. Doch leider werden die Beiden von ihrer Lehrerin Frau Schmidt am Sperrmüllhaufen entdeckt, welche natürlich nicht ohne missbilligende Bemerkungen an den Jungen vorbei gehen kann.

(Anm.: Das Buch ist 1982 im Kinderbuchverlag Berlin erschienen. Alle drei Fotos habe ich selbst von meinem heute gekauftem Exemplar gemacht.) 

 

Beliebte Posts aus diesem Blog

Arbeit mit EMDR (4-Felder-Technik)

Die Baumübung

Ich