Reha VI

Immer diese Vorträge...: Heute zum Thema Detox - entgiftende Lebensmittel.

Uns ist langweilig. Wir sind zappelig und wir beginnen, die Lampen an der Decke zu zählen. Immer wieder kommen Mitpatienten hinein, welche den Beginn des Vortrages verpasst haben. 
Jedes Mal ändert sich das Raumgefühl dabei und ich bin froh, wenn sich diese Bummelanten weit weg im Auditorium setzten. Doch einige platzieren sich auch in der Nähe.
Keine Ahnung, bei welchem entgiftendem Früchtchen Madame Ernährung vorne gerade ist, als die Letzten eintreten: Aber es ist ein "Hinterkopfdouble" meines Vaters dabei und der sitzt nun genau vor mir. Rotbrauner Pulli, graumeliertes, kurzes Haar und eine deutliche Halbglatze triggern! Auch die schwarzen Brillenbügelenden sitzen dort, wo sie hingehören...

Eigentlich will ich hinaus gehen, aber das kann ich doch nicht machen! Es haben schon zig Leute durch ihr Zuspätkommen gestört. Jetzt will ich auch noch stören, in dem ich eher gehe...?!? Nein, dass geht nicht. Also aushalten. Wegschauen. Augen schließen. Eyh, die denken doch, Du pennst. Ich gucke also wieder. Irgendwo hin - rechts vorbei... links vorbei... drüber weg... auf meine Füße... Ich werde immer unruhiger. Zwischendrin geht doch immer wieder ein Blick zu meinem momentanen "Pseudovater" nach vorn. Jedes Mal setzt das Herz einen Moment aus, um nach diesem Zurechtstolpern doch weiter brav seinen Dienst zu tun. Ich möchte hier gerne weg, aber kann nicht. Bin mittlerweile an meinem Stuhl fest gewachsen, so scheint mir.

Die letzte Vortragsfolie! Nur gut - gleich gehen alle, auch das Vaterdouble vor mir. Aber nein - eine Frage von rechts. Zwei Fragen aus der Mitte. Eine Frage von links...

Haben die Leute denn gar nichts ANDERES mehr VOR?!?!

Irgendwann stehen alle nacheinander auf und gehen, der Raum leert sich. Auch Vaterdouble entfernt sich. M. hat nun gemerkt, dass irgendwas mit mir nicht stimmt... Aber ich kann ihr noch nicht sagen, was das ist. Stocksteif und zitternd gehe ich nach unten. Ab hinaus in den strömenden Regen - so wie ich bin. Etwas fühlen, spüren - die kalte Luft, die Regentropfen auf der Haut, der Wind... bah, Zigarettenqualm weht herüber...
Nach einer Minirunde wieder ins Haus zurück. Das Zittern ist immer noch da. Und es kommt noch etwas auf, ich kann nur noch nicht sagen, was es ist. Ich wackle auf mein Zimmer und gebe mich geschlagen - lasse 1mg Tavor auf der Zunge schmelzen. *shit*

Zeit fürs Abendessen - im Speiseraum hole ich mir nur eine Tasse Kräutertee. Habe immer noch das Bild von gerade eben vor mir... Aber jetzt kann ich auch mein eigentliches Problem mit der Situation erspüren: Wiedermal eine unglaublich fiese Ambivalenz!
Er hat diese Scheisse damals mit mir gemacht, aber 

Ich liebe ihn auch.

Er war und ist Opfer und ich habe Mitgefühl mit ihm. Aber er wurde auch Täter - dafür hasse ich ihn! Und auch für seine Feigheit, nicht zu diesen Taten zu stehen!

Diese enorme Ambivalenz zerreisst mich gerade schmerzhaft. Deshalb beginne ich an meinem Platz zu weinen. Die warme Teetasse tröstet kaum, befeuert eher noch das Gefühl. Ich schluchze, schniefe. Jemand kommt an meinen Tisch und spricht mich an. Ich erschrecke und bemerke, dass schon alles "runter fährt" und ich kaum noch etwas mitbekomme. M. kommt an unseren Tisch und guckt bloß. Dann meint sie: "Los, ich bring Dich zur Pflege, so lass ich Dich hier nicht sitzen."
Bei der Pflege bringe ich stockend hervor, was war und das ich schon ne Tavor genommen habe. Die Vitalwerte werden geprüft - alles i.O. und man fragt mich, ob ich mit einem Arzt sprechen wollen würde. "Wenn es ein Mann ist, dann nein. Also Nein, denn es ist nur ein "Herr Doktor" verfügbar. Man entlässt mich wieder. Ohne ein wenig Entlastungsgespräch muss ich selber noch arbeiten. Zunächst ruft mich jedoch meine Kollegin an; wir plaudern eine Weile und das Gespräch tut mir gut. Dann bringt mein lieber Zimmerservice. M. das Abendessen. Nur essen kann ich noch nicht. Ich beschließe draußen im strömenden Regen eine Runde Barfuß (-schuhe) durch Pfützen und Wald zu patschen. Es wird eisig kalt. ich spüre was... Im schwindenden Tageslicht bringe ich meine kleine Runde zuende. 10 Minuten später habe ich warme Socke an den Füßen und kann immer hin etwas essen.

Wieder ein Tag geschafft.

Gestern Abend haben wir gemeinsam als Familie Kartrennen gespielt. In einem seperaten Raum sind wir gegeneinander Rennen gefahren. Das hat allen Spaß gemacht, glaub ich. So fern und doch zusammen. ♡♡♡♡

EDIT: Meist klappt hier die hausinterne Kommunikation vorzüglich. Fast immer entsteht das Gefühl, jeder der für Dich zuständig ist, weiß auch immer über Dich Bescheid. Das tut gut zu wissen.
Gerade hat sich meine für mich zuständige Psychologin gemeldet, ob wegen gestern noch Gesprächsbedarf besteht und wie es mir damit geht... 🙏🏼 Danke.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Arbeit mit EMDR (4-Felder-Technik)

zündende Fragen

Die Baumübung