Augen-Blicke

In zwei Räumen daheim wird neuer Bodenbelag gebraucht. Der alte erlebt gerade sein 16. Jahr und beginnt sich langsam aber sicher in Staub aufzulösen. Also haben sich mein Mann und ich in ein Geschäft begeben, wo man selbiges erwerben kann...

Zu Beginn sondierte die Verkäuferin durch häufigen Blickwechsel noch unsere beiden Gesichter - taxierte vorsichtig, wer von uns Beiden wohl der Entscheider sein wird. Immer häufiger blieb dann der Blick als Hauptgesprächspartner bei meinem Mann hängen.
Allein, dass ich diese genaue Beobachtung machen kann, ist ein Paukenschlag. Es fällt mir immer wieder sehr schwer, mein Gegenüber im Dialog anzuschauen; erst recht, den Blick längere Zeit beim Gegenüber ruhen zu lassen. Ich möchte gar nicht wissen, wie oft mir das schon wortlos als pure Unhöflichkeit ausgelegt wurde... (Ein 'Symptom'', dass nahezu alle Menschen mitbringen, die Traumaerfahrungen haben.)
Ein passender Bodenbelag war überraschender Weise recht schnell gefunden und der Gesprächsinhalt wechselte zum finanziellen und organisatorischen Teil...

Ich bin immer wieder neu überrascht, wie schnell ich als Gesprächspartner 'raus' bin, sobald ein Dritter oder gar Vierter vorhanden ist. Ich bin schon im Smalltalk 'uninteressant', wie ein Kind, dessen Themen schon altersgemäß nur schlecht zu den eigenen Themen passen wollen. Manchmal bin ich froh darüber, weil ich dann aus dem Zentrum des Gespräches an den Rand rücke. Es passiert aber auch, dass ich mich übergangen fühle. Wahrscheinlich hängt es sehr davon ab, wer aus meiner kleinen Mannschaft gerade so 'vorn' ist.
Oft versuche ich dann trotzdem noch beim Gespräch zu bleiben, inhaltlich dabei zu bleiben und möglichst nur sinnvolle Beiträge beizusteuern. (Es kann sein, dass das kläglich misslingt. 🙈) Die Blickwechsel der Hauptgesprächspartner wechseln nun nur noch unter einander. Zu mir verirrt sich da schon lange kein Blick mehr. Dann steige ich inhaltlich aus (das Gespräch rauscht dann einfach, wie ein Fluss an mir vorbei) und kann sogar komplett aus der Situation gehen, ohne dass die munter Plaudernden das bemerken würden.

Ein Junge sah mich mal im Schneidersitz auf einer Bank sitzen, setzte sich neben mich und sagte nach einer Weile zu mir: "Ich weiß jetzt gar nicht, was Du bist - eine Frau oder ein Mädchen..."
Das hat uns tief berührt. Dieser Knirps von 4 oder 5 Jahren hat uns alle gesehen und wahr genommen. Nicht nur die Erwachsene. Gesehen werden, dass tut immer allen Menschen gut, egal wer man ist.

Manche Menschen sehen uns zumindest teilweise.
Etliche Mensch übersehen uns komplett.
Viele Menschen sehen uns nur so, wie sie uns sehen wollen.
Nur wenige Menschen sehen uns so, wie wir sind. ♡
Und manchmal eben auch einige, die gar keinen therapeutischen Hintergrund haben, wie der kleine Junge damals...

Wann wurdet Ihr das letzte Mal so gesehen, wie Ihr wirklich seid? Hat es Euch berührt...?!

Beliebte Posts aus diesem Blog

Arbeit mit EMDR (4-Felder-Technik)

Die Baumübung

Ich