Rollenverlust
Anfang des Monats besuchte ich mit meinem Mann eine Ausstellung* in der Vorschau - d.h.: Er hatte 2 Freikarten vor der eigentlichen Eröffnung. Dieser Besuch wurde zu einem ziemlichen Debakel für mich und steht rückblickend jedoch ziemlich passend für meine derzeitige Situation.
Im ersten Teil der Ausstellung ist der Besucher selbst Teil der Installation. Dabei wurde ziemlich überraschend meine Identität mit der fremden Identität einer anderen Besucherin überlagert. 😱👽
Im ersten Moment kam es in mir zum Erstarren. Ich war nicht einmal mehr fähig meine Augen ganz bewusst zu schließen. Nach gefühlt unendlich langer Zeit gelang mir das irgendwann. Den Rest der Ausstellung verbrachte ich im dissoziativen Nebel. Am Ausgang von Teil 1 nahm ich mir dann einen Klapphocker und setzte mich in eine Gebäudenische. Nur vorn war offen - neben und hinter mir schützendes Mauerwerk. So wartete ich dann auf meinen Mann, der unglücklicher Weise in der nächsten Besuchergruppe gelandet war.
Teil 2 der Ausstellung haben wir gar nicht mehr besucht. Ich wollte weg - einfach nur weg!
Dabei war der erste Dämpfer vom Vormittag desselben Tages noch gar nicht verdaut. Die Klinik rief an - weitere 2 Wochen Verschiebung...
Mittlerweile haben wir nun fast Ende September erreicht. Ich bin immernoch daheim - habe meine "Wartezeit" schon mehrmals geschafft. Für die Größeren zu lange, für die Jüngeren ist die Unendlichkeit der Warterei schon zementiert.
Ich kann im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr halten: Meine Rollen nicht, meine Persönlichkeiten nicht... Selbst Nahrung fällt gerade immer wieder ziemlich rabiat einfach durch mich hindurch! 😵💫 (Keine Bange - ich wiege immernoch genug!)
Ich ertrage meinen Mann nicht mehr. Ich ertrage auch meine Kinder immer schlechter. ('Lass nicht alles herum liegen.' 'Fass doch auch mal mit an.') Ich ertrage meinen Alltag nicht mehr... "OMG, schon wieder ein neuer Tag ist!", eine höchst euphorische Umschreibung!
Aber die Sätze von Beginn das Absatzes stimmen so eigentlich nicht. Sie sind irgendwie unfair. Richtiger fühlt sich an: Ich ertrage gerade meine Rolle als Mutter und Ehefrau nicht mehr. Ich ertrage gerade mein Ich in meinem regulären Alltag nicht mehr. Rollenverlustus totalis
Drei Wochen muss ich noch durchhalten. Davon bin ich knapp eine Woche allein hier mit meiner Diggen. 🐢 Ja, die süße Digge - die ertagen wir nicht nur, die tragen wir sogar. Nochmal in den Garten z.B. wenn es das Wetter zulässt.
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*Anmerkung zur Ausstellung: Aus verschiedenen Gründen möchte ich hier nicht näher schildern, um welche Ausstellung es sich genau handelt. Ich habe mich jedoch mit der zuständigen Kuratorin über meine Erlebnis dort per Mail in Verbindung gesetzt. Gerade für Menschen mit einschlägigen, psychischen Erkrankung ist der Besuch der Ausstellung gerade so, als würde man jemanden mit Einschränkung beim Gehen überraschend und ohne Umkehrmöglichkeit hoch oben im Hochseilgarten aussetzen.