Gedanken zur Fachtagung EDIT: AW!
Gestern war der digitale Fachtag zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in der Familie.
Hier meine Gedanken dazu in einer Mail an die Kommission:
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Betroffene habe ich gestern bis zum Mittag den Fachtag verfolgt.
Ihr Anliegen habe ich so verstanden, dass sie sich über Impulse austauschen wollten, wie sex. Gewalt in Familien stärker in den Fokus der Öffentlichkeit kommen kann und wie Aufarbeitung dererlei Ereignisse in den Familien aussehen kann.
Ein Satz im ersten Modul (leider weiß ich nicht mehr, von wem er gesagt wurde) schlug mir dabei wie eine Ohrfeige ins Gesicht: "...aber man kann natürlich niemanden zu dieser Aufarbeitung zwingen...". Und genau DAS ist der springende Punkt!!!
Es wird in den Familien keine Aufarbeitung geben - wenn, dann vielleicht im einstelligen Prozentbereich. Die Täter und Mittäter nehmen in den allerwenigsten Fällen die Verantwortung zu sich!
Eine Äußerung eines Teilnehmers lautete gar, dass er eine hohe Bereitschaft und Interesse in den Familien an Aufklärung wahrnehme... Auf welchem Planeten lebt dieser Mann???
Es sind immer die Betroffenen, welche ausgegrenzt bleiben. Ich kenne kein Gegenbeispiel. Auch meine Eltern gehen zu großen Familienfeiern und ich bleibe daheim. Alle lassen mich auf das Herzlichste grüßen. Ich bleibe immer draußen.
Mit einem letzten Rest von Anstand (den ich vielleicht fallen lassen sollte), möchte ich meine Eltern nicht vor dem Rest der Familie bloßstellen. Der schwarze Peter liegt seit Jahren bei mir herum. Selbst Schuld - jaja.
Meine Eltern wissen, warum ich vor 6,5 Jahren den Kontakt zu ihnen abgebrochen haben. Das Gesprächsangebot unter Zuhilfenahme einer Mediation haben sie nach mehrwöchiger Bedenkzeit abgelehnt vor 5,5 Jahren.
Vielleicht ziehen sie am falschen Ende des Betttuches? Sorgen sie lieber dafür, dass Betroffene breit gefächerte Strukturen an professioneller Hilfe vorfinden, um das Erlebte bestmöglich zu verarbeiten. Wartezeiten auf Therapie- und Klinikplätze, 2-Jahreslücke in der Psychotherapie, fehlende Strukturen der Grundversorgung (netzwerken im Sinne einer gemeindepsychiatrischen Basisversorgung)... Ich kenne Betroffene die über 200 Therapeuten auf der Suche nach einer Traumatherapie kontaktieren mussten und nur Absagen erhielten. Ist das die öffentliche Verantwortung?
Aufklärung muss stattfinden. Die Gesellschaft muss wacher werden und hinschauen, statt wegsehen. Auf jeden Fall!
Aber Aufarbeitung in den Familien einzufordern setzt vielleicht auch auf das falsche Pferd. Die Energie fehlt wieder anderswo, wo sie nötiger gebraucht wird.
Ein extrem wichtiger Aspekt ist für mich noch die Präventionsarbeit. Aktionen wie "Kein Täter werden" sind Gold wert.
Bitte schauen Sie, ob Sie nicht zu "verkopft" an diese Thematiken heran gehen.
Was mir definitiv helfen würde wäre, wenn ich mir um meine langfristige, finanzielle Grundsicherung (EU-Rente muss mehrmals beantragt und verlängert werden, ebenso der GdB) keine Gedanken mehr machen müsste und meine Therapien, die ich DURCHGEHEND(!) brauche, gesichert sind.
Mit meiner kPTBS und meiner dissoziativen Störung ist mein Alltag schon schwer genug...
Den betroffenen Kindern widerfährt in den seltensten Fällen "nur" sexuelle Gewalt. Meist wachsen sie in völlig widrigen Strukturen auf. Diese Menschen - einst doch noch erwachsen geworden - Überlebende! - leiden selten unter einem Einzeltrauma. Sie sind komplex traumatisiert und haben das ganze Leben lang schwer daran zu tragen. Daher braucht es Hilfen auf ganz vielen Ebenen. Die angestrebte Aufarbeitung, Einsicht von Tätern und Mittätern und Annahme der Verantwortung von dem, der sie tragen sollte, ist dabei der (aller)letzte Punkt, wenn es der Freiwilligkeit unterworfen bleibt.
Meine bisherigen Therapien haben unsere Familie über 5000€ gekostet. Allein hätte ich diese Kosten niemals aufbringen können. Meine Eltern haben nicht einen lumpigen Cent angeboten bisher...
Bitte überdenken Sie Ihre Pläne!
Beste Grüße
Die Himbeersplitter
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Mal sehen, ob Antwort kommt. Ich bin gespannt. *hmm*
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Hier die Antwort:
Sehr geehrte Frau ***,
wir bedanken uns für Ihre Rückmeldung zum Fachtag Familie am 25.1.
Ich schreibe Ihnen als Mitarbeitende im Büro der Aufarbeitungskommission. Ich habe gesehen, dass Sie Ihre Gedanken und Bedenken mit Blick auf das Vorhaben der Aufarbeitungskommission, Aufarbeitungsprozesse innerhalb von Familien zu unterstützen, auch über das Feedback-Formular kommuniziert haben.
Diese Hinweise werden den Kommissionsmitgliedern zugehen und von ihnen gelesen - d.h. Ihre Bedenken werden auf jeden Fall zur Kenntnis genommen. Bei uns sind während und im Nachgang zur Veranstaltung wirklich sehr viele Nachrichten eingegangen - daher befürchte ich, dass es den Kommissionsmitgliedern nicht möglich sein wird, darauf jeweils zu antworten.
Was ich Ihnen aber sagen kann: In einer ganzen Reihe von Rückmeldungen wurde die Kommission gebeten, das Thema der Situation von erwachsenen Betroffenen in den Blick zu nehmen (ökonomische Lage, fehlende Therapiemöglichkeiten u.a. belastende Umstände). Ich kann Ihnen versichern, dass diese Informationen auf jeden Fall gehört worden sind.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und verbleibe mit besten Grüßen M.W.