Erinnerungen vom Dach zum Boden
...nicht immer hatten Busse und Bahnen so tief gezogene Fenster, wie das heute üblich ist. Selbst kleine Kinder können heute normal rausschauen, auch wenn sie nicht auf dem Schoß eines Erwachsenen sitzen.
Damals begann die Fensterscheibe für jeden halbwegs normal großen und sitzenden Erwachsenen knapp unter oder etwa in Schulterhöhe. Allein auf einem Sitzplatz war damit jedes Kind weitgehend "ausgeschlossen". Da bileb nur die Menschen oder die Innenausstattung des Fahrzeuges zu studieren (Die Busse hatten an jedem Sitzplatz stets kleine, runde und schwarze Kunststoffgitter in die Seitenwand eingelassen. Sicherlich waren die für die Luftzirkulation da.) Da gab es dicken, schwarzen Fenstergummi, Kunstledersitze... Alte Frauen, gebückt, mit gemustertem Kopftuch, andere Mütter mit Kindern, Männer in abwetzten Hosen, gefüllte Einkaufsnetze und Kinderwagen...
Oder man konnte - je nach Körpergröße - beobachten, was das fahrende Verkehrsmittel preisgab.
Zuerst waren das vorallem Obergeschosse, Dächer und Giebel. Ich machte es mir zur Gewohnheit vorallem die Verzierungen an den Häusern zu betrachten. Es gab Ornamente, Tiere, kleinere Bildszenen, Blüten und Ranken. An manchen Häusern und Dächern waren nur einzelne Kanten abgesetzt. Manchmal waren Häuser gänzlich ohne Zierde; nur die Fenster waren durch einen umgebendem Rahmen betont. Hier und da waren einige Zimmer dann durch besondere Einrahmungen hervorgehoben oder es gab über einem der Fenster ein besonderes Ornament.
Nicht wenige Spuren an den Gebäuden trugen jedoch die Handschrift der nagenden Zeit. Laufspuren von Wasser, bröckelnder Putz gab rote Ziegelsteine frei... In Dachrinnen wuchsen Pflanzen oder kleine Bäumchen, an Dachziegeln fehlten Ecken oder auch mal ein kompletter Ziegel. Regenrohre älterer Bauart waren von Patina überzogen, auch einige Dächer schimmerten somit türkisgrün. Viele aber auch einfach nur in ordinärem Rostbraun.
Auf Balkonen standen Pflanzenkübel hinter althergebracht geschmiedeten Gittern. Jene bogen und wanden sich ebenfalls als Ranken und Blüten schützend um den Austritt am Haus empor.
Besonders schön war stets eine Fahrt am Abend, wenn die Fenster schon hell erleuchtet waren, während sich die Dunkelheit in die Straßen der Stadt ergoss - nur hier und da lachsfarben beleuchtet von den Straßenlaternen. Der Fokus lag dann auf Gardinen und Zimmerlampen im Inneren der Räume. Ging die Fahrt nicht allzu schnell voran, blieben Einzelheiten wie Gießkannen, Blumentöpfe oder Fensterschmuck nicht unentdeckt. Und zur Weihnachtszeit wurden natürlich all die Schwibbögen und Tannenbäume gezählt...
So saß ich oft still und versunken - sagte nichts, fragte nichts. Studierte aber, bewunderte, staunte, beobachtete.
Heute fallen mir manchmal meine alten Betrachtungsweisen beim Fahren wieder ein. (Meist als Beifahrer, klar.) "Reich verziert", urteilt da eine Stimme im Innen. Waren zu viele Schnörkel und Stuck an einem Gebäude, gefiel mir das als kleines Mädchen schon nicht so gut. Am liebsten waren mir jene Gebäude, welche auf den ersten Blick zwar schlicht und geradlinig erbaut waren, bei näherem Betrachten jedoch kleine Überraschungen preisgaben.
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Als ich größer und älter wurde, kam nach und nach auch das Untergeschoss der Gebäude hinzu, und später auch die Vorgärten und Gehwege.
Nicht minder langweilig! Jetzt suchen die Augen zwar nicht mehr nach Stuck und Ornamenten, dafür nach übrig gebliebenen Baustellen-Reste-Häufchen...
In der DDR herrschte großer Mangel an Baustoffen jedweder Art. Umso mehr bin ich heute über diese "Häufchen" erstaunt. Man konnte praktisch keine einzige Straße entlangfahren, ohne nicht wenigstens die kleinste Ecke von Bauresten zu entdecken: Sand- oder Kieshäufchen in denen nicht selten noch eine Schaufel steckte, schräg 2 Gehwegplatten darüber gelegt. Ein kleines Loch war gebuddelt aus dem ein dickes Kabel schaute. Um die 30 halbwegs ordentlich gestapelte Ziegesteine an einer Hauswand. Ein Stück weiter ein kleiner Stapel Altholz - vielleicht Reste von einem alten Zaun...?! So ging das immer weiter - Straße um Straße und Kreuzung um Kreuzung, Jahr um Jahr. Manche Häufchen änderten sich sehr lange Zeit nicht. Sie gehörten im Vorbeifahren und -gehen so sehr zum Stadtbild, dass sie niemand mehr bewusst wahrnahm. Außer so seltsame Beobachter vielleicht, wie ich.
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So, denn...: Schaut einfach mal selbst an den Hausfassaden empor, während ihr unterwegs seid, was es da zu entdecken gibt. 😉👍🏼