Das Grab



Letzten Sonntag war Totensonntag. Vor Beginn der Adventzeit wenden wir uns gedanklich den von uns Gegangenen zu. Sicher hat dieser Tag bei so manchem die ursprüngliche Bedeutung verloren und auch wir begehen ihn nicht mit Vehemenz und Tradition.

Dennoch sind mein Sohn und ich am Sonntag los gezogen - zwei Lichter hatten wir dabei. Zuerst besuchten wir die Grabstelle meiner Schwiegeromi. An sie hat mein Sohn noch viele Erinnerungen. Er erzählte ein zwei Begebenheiten, während wir auf dem kleinen Weg zu ihr gingen. Tannenzweige und zwei hübsche Gestecke zierten ihren Platz bereits. Nun zündeten wir unsere Kerze an und stellten sie dazu. Mit friedlichen und schönen Gedanken an die Uromi gingen wir nach einer Weile wieder...

Die letzte Ruhestätte meiner Oma liegt auf einem anderen Friedhof. Er ist viel größer und liegt an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße. Der Friedhof selbst wirkt zur Zeit unheimlicher, als er ist. Dadurch, dass sich immer mehr Menschen für Bestattungen in einem Gemeinschaftsgrab entscheiden, welches von dritter Hand gepflegt wird, befindet sich dieser Friedhof gerade in einer einschneidenden Umgestaltungsphase...

Der Anblick der Grabstelle meiner Oma war schlicht wüst. 'Hier sieht es genau so aus, wie in unserer Familie!', war mein erster Gedanke dazu. Gemeint ist hier die Familie meines Vaters. Keiner kümmert sich. Jene wenigen, die noch da sind, überleben so gut, wie sie können...
Oma verstarb schon in frühen Rentnerjahren an einer Erkrankung. Eigentlich wäre der Platz schon 'abgelaufen', aber mein Vater hatte sich  vor 3 Jahren dazu entschieden, die Laufzeit zu verlängern. Seines Zeichens fitter Rentner, könnte er sich sehr wohl um diesen kleinen, grünen Gedenkplatz seiner Mutter kümmern. Er tut es jedoch nicht.
Oma war irgendwie immer Mittelpunkt der Familie. Nicht, weil sie es sein wollte oder weil sie irgendwie darauf hinarbeitete. Sie war es - einfach so. ❤️
Als sie Mitte der 90-er verstarb, war statt diesem Familienmittelpunkt ein riesiges Loch. Die Familie versammelte sich nicht mehr, ohne das jemand genau hätte sagen können, warum sich das so entwickelte...

Das Efeu wucherte vom Rand aus über das Grab. Drei nachlässig gepflanzte Sträucher drückte die Erde widerwillig aus dem Boden heraus. Gras und Unkraut gesellte sich hinzu und altes Laub bedeckte alles. Nur das Licht anzünden und wieder gehen - das ging hier irgendwie nicht. Sicherlich könnte ich mich selbst um die Grabstelle kümmern. Ich habe ein paar mal versucht, "dran zu bleiben": gehäckelt, gejähtet, neu gepflanzt... Jedes Mal verstrich doch wieder zu viel Zeit, bis ich erneut vorbei kam.

Mein Sohn und ich sammelten nun das Laub ein, entfernten Gras und Unkraut, sowie das Gestrüpp, was mal Sträucher werden sollten. Das Efeu am Rande bändigten wir, so gut es ging. Ganz entfernen liese es sich nur mit schwerem Gerät, welches wir nicht dabei hatten. Anschließend gingen wir zurück zum Eingang, um dort Fichtenzweige und ein schönes Gesteck zu kaufen. Das arrangierten wir alles bei Oma und stellten dann endlich unsere Kerze auf!
Auf einmal wurde mein Sohn ganz traurig und versteckte sein Gesicht in meiner Armbeuge. Ich fragte ihn, warum er traurig sei. Einen Moment lang war er ganz still und sagte dann: "Nein, dass ist vor Freude, weil es hier jetzt so schön aussieht!"
Einen langen Moment wiegten wir uns in den Armen mit Gedanken an meine Oma: Ich mit reellen Bildern und Erlebnissen und er mit erzählten Begebenheiten lange vor seiner Zeit.
Ein durch und durch friedlicher Moment.

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