Die Kippensammlerin

Orange. Rechteckig. Leicht platt gedrückt.
Zielsicher und bestimmt bohre ich meinen dünnen Metallstab ungnädig in das kleine Objekt. Nach einer leichten Drehung des Stabes haftet der kleine Dreckspatz sicher an der Spitze. Einen Moment später kann ich ihn in der Sammeltüte wieder abstreifen, so dass er neben all seinen Kumpanen zum Liegen kommt. Die versuchen sich gerade alle miteinander anzufreunden; streiten teilweise noch, welche "Duftmarke" die Oberhand gewinnen sollte.

In Gedanken bin ich bei F. (Mitpatientin aus dem Klinikaufenthalt 2024) und ihrem kleinen Plüsch-Igel... Während alle anderen PatientInnen Mühe hatten, sich einmal pro Woche morgens zum Nordic Walking aufzuraffen, ging F. fast jeden Morgen mit. Bewaffnet mit Tüte und Müllgreifer sammelte sie die gedankenlos weggeworfenen Hinterlassenschaften ihrer Mitmenschen ein. Ich habe beides bewundert: Dass sie JEDEN Morgen früh los ist und das Müllsammeln. Ich war froh, mich die restlichen 6 Morgen vor dem Lichttherapiegerät mit einer heißen Tasse Kaffee für den Tag zu wappnen.

In Aktivität zu kommen fällt mir noch immer schwer. Sei es, mich zum Sport aufzuraffen oder einfach nur nach draußen zu gehen. Vorallem beim Rausgehen fehlt manchmal einfach der Sinn -> wo will ich lang? warum? und was mach ich da?
Pokemons fangen, Schrittzählerspiele, thematische Fotosafari -> ich habe schon etliches ausprobiert...

Mein Mann ging neulich abends nochmal vor die Tür. Im nahegelegenen Park hatte er dann so einiges an Müll aufgehoben und korrekt entsorgt.
An einem anderen Abend ging ich mit. Obwohl unser Park vergleichsweise sehr sauber ist, fanden wir erschreckend viele Zigarettenstummel. 
An einem weiteren Tag kramte ich nicht benutzte Grillspieße heraus, um damit auf Kippenjagd zu gehen. In 2 großen Runden und 2 kleinen Runden habe ich mittlerweile knapp 1750 Kippen aufgelesen. Wenn man bedenkt, was für Giftstoffe sie enthalten, welche sie kontinuierlich bis zur kompletten Verrottung an Boden und Grundwasser abgeben...!

Reine Gedankenlosigkeit der Raucher ist vielleicht das eine. Oder aber pure Ignoranz das andere.
Die meisten Zigarettenstummel finden sich im Park an den Bänken, wo auch die Abfalleimer stehen. Diese sind aus Metall und haben oben einen breiten Rand, um die Kippen auszudrücken und dann in den Behälter zu schieben. Simpler geht es nicht. Aber nein, die Fluppen liegen neben Eimer und Bank! 👿

Mittlerweile sammle ich weiter Stummel um Stummel auf. In meiner Tüte scheint man sich einig geworden zu sein, was die Duftnote betrifft: "Kalte Asche" hat sich eindeutig als Kopfnote durchgesetzt. Der Geruch erinnert mich an früher, als es beim Abwaschen des Geschirrs auch immer meine Aufgabe war, den Aschenbecher meines Vaters zu leeren und zu reinigen. Eklig fand ich das damals schon, aber hinterfragt habe ich es natürlich nie. Es ist eine kleine Schande gewesen!

Unterwegs mache ich weiter meine Studien. Lerne dabei Zigarettenmarken kennen - altbekannte und neue.
Am meisten wird hier im Stadtviertel PallMall und Marlboro geraucht, gefolgt von Winston (ist das nicht eine Katzenfuttermarke!?) und Chesterfield. Die Marke neo scheint scheußlich zuschmecken. Die finde ich meist noch in kompletter Länge am Boden vor. Einmal dran gezogen und fort damit! 
Die langen dünnen (Damenzigaretten) lassen sich schlecht aufspiessen. Sie zebrechen oft in viele Teile. Dann muss ich sie mühsam am Boden in die Tüte schnippen. Am meisten freue ich mich über die frischen Stummel, also jene, die noch keinen Regenguss hinter sich haben und damit auch noch kein giftiges Zeug an den Boden abgegeben haben! Sie lassen sich auch am besten aufpieken. Wenn sie nich wegrollen... O_o  Tretet doch wenigsten einmal kurz drauf, liebe Raucher!!! Damit erleichtert ihr mir die Arbeit...
Manche sind bis zum Filter weggeraucht, andere besitzen noch ein Stück jungfräulich-weißen Rand. Manche sind vor dem Wegwerfen verdreht oder geknickt worden. Die meisten an der Straße weht oder spült es in den Rinnstein. Aber auch die Straßenbäume beherbergen überdurchschnittlich viele Stängelreste in ihrem Umfeld.

Wer wohl an all den Fluppen so gezogen hat...? Bürokaufleute, Lehrer, Maurer, Studenten, Briefträger, Schüler, Schuhverkäufer, Elektriker, Paketboten, Rentner, IT-Fachleute, Anwälte, Sparkassenmitarbeiter, Busfahrer, Arbeitslose, Friseure, Sanitärinstallateure, Beamte oder Manger...?! (Und natürlich auch viele Frauen von hier aufgezähltem)
Arme und Reiche. Junge und Alte. Rechtswähler und Linkswähler. Große und kleine Leute. Welche mit Kindern und ohne Kinder... 
Alle haben jedoch eines gemeinsam: Sie haben die Reste ihres Rauchens falsch entsorgt.

In Köln am Rheinufer haben einmal 4 Leute auf einem Abschnitt von 100m 10 Minuten lang Zigarettenstummel aufgelesen. Ergebnis waren knapp 1000 Stück!!! Erschreckend...

Also sammle ich weiter. Ich kann nicht sagen, ob ich das nun gaaanz lange und gaaanz regelmäßig machen werde. Aber momentan ist es gerade ein Grund, hin und wieder mal einen Fuß vor die Tür zu setzen.

🚬

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