Aufbruch aus dem Zwergenland
Schon seit geraumer Zeit sind meine Kinder längst keine Zwerge mehr. Der "kleine" Zwerg überragt mich gar um 10 Zentimeter! Die "große" Zwergin hat genau einen Zentimeter vor meiner Haupteshöhe ihr Wachstum eingestellt.
Unsere junger Erwachsene strebt schon mit raumgreifenden Schritten ins Leben hinaus: Schreibt ihr Abitur in wenigen Wochen, plant ihr Studium und schmiedet mit ihrem langjährigen Freund an ihrer Seite Pläne, wie einst ihr erstes eigenes Zuhause und ihr gemeinsames Leben aussehen soll.
Unser "langer" Teenager geht mit dem Kumpel ins Fitness, besucht den Aufbau-Tanzkurs, trifft sich mit Freudinnen zum Lernen und plant seine erste kurze Urlaubsreise, die er ganz alleine antreten wird. Er besucht für ein paar Tage eine Freundin im Saarland, welche er letztes Jahr im Sommerurlaub mit uns kennen gelernt hat.
Sie verlassen also Schritt für Schritt das heimelige Zwergenland... Und das tun sie so ganz anders, als es bei mir vor Jahrzehnten der Fall war. Auswärts übernachten - jemanden zur Übernachtung einladen. Ausgehen, eine Messe besuchen, verreisen... Manchmal fordern sie noch Hilfe von uns Eltern ein, aber sehr vieles machen sie aus eigenem Antrieb mittlerweile schon selbstständig. Selbstorganisiert.
Beim Klinikaufenthalt ergab sich in einer Gruppenarbeit die Thematik der jungen Erwachsenen (Heranwachsenden, wie es behördendeutsch heißt) und des Aufbruchs in dieser Zeit. Viele typische Situationen wurde aufgezählt: Abgrenzung von den Eltern, Zugehörigkeit zu Freunden / einer Clique, Verlieben und erste sexuelle Erfahrungen, Ausgehen, Ausprobieren... Wir schüttelten die ganze Zeit verneinend den Kopf - erst innerlich, dann auch real im Außen sichtbar. Dann drifteten wir weg...
Freunde?! - Es macht sehr einsam, wenn man nie jemanden einladen darf...
Es macht auch sehr einsam, wenn man nie irgendwo mit hin darf... Schon gar nicht ohne spezielle Bedingungen...
Abgrenzung?! - Wie soll das geschehen, wenn alles bis ins kleinste Detail bewertet und bemeckert wird...? Wenn es keine privaten und geschützen Rückzugsräume gibt (nicht mal bei Nacktheit). Und wenn kein Selbstbewusstsein da ist, um diese Abgrenzungsversuche zu verteidigen?!
...es war eine traurige und sehr belastende Zeit für die junge Heranwachsende in uns. Wir haben also bislang nur erstmal aufgenommen, was alles schwierig war. Und das war eine Menge in nahezu allen Lebensbereichen!
Es gab kein Zwergenland - und damit auch keinen Aufbruch aus dem Zwergenland...
Wir können es nur mit therapeutischer Hilfe anschauen und nachbearbeiten.
Umso mehr freue ich mich als Mutter meiner zwei großen Kinder, wie sie - für die meisten Dinge wohl wacker gerüstet - frohgemut aus ihrem Zwergenland in die Welt und in "ihr" Leben aufbrechen... ♡♡