Was auch Harry lernen musste



"Es hat nichts mit Schwäche zu tun",
sagte Professor Lupin scharf,
als ob er Harrys Gedanken lesen könnte.
"Die Dementoren greifen Dich stärker an
als die anderen, weil es schreckliche
Ereignisse in Deiner Vergangenheit gibt,
die die anderen nicht erlebt haben."

Das Zitat stammt aus "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" von J. K. Rowling. In dieser Szene fragt sich Harry im Gespräch mit Professor Lupin wieder einmal, warum ihn die Dementoren stärker beeinflussen können, als seine Mitschüler... Ist er zu schwach?
Doch Lupin liefert ihm die Erklärung für seine vermeintliche Schwäche: Hätten die anderen Harrys Erlebnisse als Erfahrungsgrundlage gehabt, hätte sie es genauso vom Besen geschmissen, wie es ihm im Quidditchspiel gegen Hufflepuff passierte.

An dieser Stelle stockte ich beim Vorlesen für meine Kinder... Wir hatten es uns im Zimmer meines Sohnes auf dem kleinen Sofa gemütlich gemacht und tauchten wieder einmal tief in Harrys Welt ein. Selbst meine Tochter (die alle Bände schon zig mal gelesen hat und dem Vorlesealter mehr als entwachsen ist) setzt sich immer wieder gern dazu.

Diese Schlüsselszene holte eine meiner eigenen (und wichtigsten!) Fragen auf den Tisch: Warum wirken sich meine Traumata bei mir stärker als bei anderen aus?!? 
Die Antwort wird gleich mit geliefert: Weil bei vielen anderen wenigstens der allererste Lebensanfang gut und in Ordnung war. Weil traumatische Erlebnisse nicht schon vor, während und nach der Geburt sich drum herum gruppierten wie ein ganzes Rudel ausgehungerter Dementoren.
Lange habe ich nach den Gründen für meine innere Zerstörung gesucht und nur zum Teil gefunden. Dissoziative Identitätsstrukturen, auch wenn sie "nur" im Rahmen einer ego state disorder entstanden sind, bilden sich nur heraus, wenn frühzeitig im Leben langanhaltend und/oder wieder kehrend schwerste Gewalt erlebt wird. Solche Strukturen entstehen nicht durch einen Klapps auf den Po...
Unterm Strich - vor allem von außen betrachtet - bin ich ganz normal aufgewachsen. Es gab keine offensichtliche rohe Gewalt oder grobe Vernachlässigung. Ich wurde nicht vorsätzlich misshandelt. Von außen war immer alles gut. Innen gab es freilich Dinge, die nicht in Ordnung waren (zT. sogar strafbar waren/sind), aber sie verursachen nicht solche massiven Schädigungen in einer Seele! Dann meldeten sich hin und wieder Stimmen, dass ich schon immer 'recht sensibel gewesen wäre...' Aha, ich bin verkehrt. Ich bin zu weich, nicht hart genug. Andere hätten das auf der linken Ar***backe abgesessen, haben Schlimmeres erlebt und dennoch ihr Leben weitaus besser hinbekommen als ich. (Diese Feststellungen und Vergleiche machen im Übrigen gleich wieder neuen Schaden.)
Dennoch trage ich sie in mir, diese tiefe Zersplitterung in lauter Einzelteile. Nicht die schwerste Form (DIS), aber doch die "kleine Schwester" davon.

Vorallem im Innen wurde wohl gestern Abend wieder ein wenig besser angenommen, was da ist und warum das so ist. Vor allem, dass es nicht an uns liegt - wir verkehrt sind - sondern, dass es am Boden und an den Bedingungen lag, wie wir so geworden sind - und: Das es anderen an unserer Stelle genau so oder ähnlich ergangen wäre...

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