Über das Alter(n)

Hilflos lassen mich die Bilder des Erlebten der letzten Stunden zurück und das obwohl es nicht einmal meine eigene Verwandte ist...
Diese kleine, zarte Omi am Boden. Verletzlich, wie ein kleines Kind, die Haut dünn wie Papier, die Augen müde und klein vom langen Leben... Ihre Worte trocken und brüchig, unsortiert und doch beharrlich...

Zum vollen Jahrhundert fehlen ihr keine anderthalb Jahre mehr und doch hat sie bis heute alleine daheim gelebt. Natürlich mit Unterstützung durch ihre Tochter und die Enkel. Aber ohne Pflegedienst!
Und dennoch in den letzten Jahren zunehmend stark eingeschränkt..: Nach einem Sturz mit Beinbruch kurz vor dem 90. Geburtstag, hat sie sich zwar nocheinmal unglaublich gut aufgerappelt, aber die Fitness und Beweglichkeit vor diesem Sturz hat sie nie wieder erreicht. Damals wurde "heimlich" ihr Bad umgebaut -> Badewanne raus und Dusche rein; neue Fliesen, Toilettensitzerhöhung und Co.

Seit etwa einem Jahr kam sie nicht mehr zu Familienfeiern mit, weil es ihr zuviel war... Und nun haben wir in den vergangenen drei Tagen eine neue Stufe der Verschlechterung: Drei Stürze! Prellung der Hüfte, Wunde am Unterarm, zahlreiche Blutergüsse an Rücken und Beinen. Trinken, Essen, Medikamenteneinnahme klappt nicht mehr sicher. Da macht nicht nur der Kreislauf schlapp; da kommt auch der Kopf in arge Verwirrung...! Traurig.

Sie braucht nun definitiv 24h-Betreuung. Mein erster Gedanke -> Du hast Zeit und ziehst bei ihr ein bis ein Heimplatz (den sie genauso wenig, wie meinen Einzug bei ihr haben möchte!!!) gefunden ist. Das ich mich mit diesem Plan bereits innerhalb der ersten Stunden mehrfach übernehmen würde, braucht gar nicht erst erwähnt zu werden.

Gestern Abend war mein Mann und mein Sohn bei ihr. Sie lag in der Küche und kam nicht wieder hoch. Da sie verletzt war, rief mein Mann den Rettungswagen. Sie wurde genäht und geröngt und um Mitternacht(!) wieder in die häusliche Umgebung enlassen. 🫣 Natürlich letztenendes auch, weil sie heim wollte und immer wieder sagt, sie schafft das alleine.
Heute Morgen lag sie wieder hilflos in der Wohnung: Verwirrt, da stundenlang weder gegessen noch getrunken. 😥 Ein Anblick, der einem das Herz bricht. (Ins Krankenhaus wollte sie trotzdem nicht!)
Aber nun ist immerhin klar, dass sie darum nicht mehr herum kommt. Um den Klinikaufenthalt nicht und um den Übergang in die stationäre Pflege auch nicht mehr. (Nur weiß sie das noch nicht.)

Begleitet werde ich von Fragen, auf die es keine richtigen oder falschen Antworten gibt.: Hätte sie nicht eher in die Pflege gemusst? (na klar, aber sie wollte nie!) War es nicht gut, dass sie so lange selbstbestimmt leben konnte? (auf jeden Fall) Wie wird das Abschiednehmen werden? (Dazu muss man sagen, dass sie eine ganz wichtige Schlüsselfunktion innerhalb der Familie hatte...)
Dann galoppieren die Gedanken vom heimischen Hof und kehren wie lauter Bumerangs mit Bündeln neuer Fragen zurück:
Was wird mit Deinen Eltern, wenn sie mal Pflege brauchen?
Wer kümmert sich dann? (Ich bin Einzelkind.)
Selbst wenn es nicht um selbst erbrachte persönliche und körperliche Pflege durch mich gehen wird...: Alles muss organisiert und auch bezahlt werden.
Gedanken an all diese Dinge lassen mich gleichzeitig schwitzen und frieren...

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Selbstbestimmt und würdig altern und sterben - geht das in unserem Land überhaupt?
Würdig ist meist nur, was außen zu sehen ist: Fröhliche Rentner auf Werbeprospekten, Pflegedienstautos und Verpackungen. Äußerliche Ordnung und Sauberkeit. Zum Abschied: Der schmucke Stein an der letzten Ruhestätte.
Unwürdig ist das, was man nicht sieht: Nachlässige oder hastige Pflege aus Zeitmangel. Ruppige Pflege aus Überlastung. "Unterlassene" Pflege, da sich der Betroffene wehrt... Da gibt es viele Gesichter. Oder gar die "Vergessene" Pflege, weil niemandem mehr auffällt, dass hinter irgendeiner anonymen Wohnungstür jemand ohne Angehörige dahinsiecht.

Während der Lebensanfang sich in wunderbarem Willkommenheißen, Staunen und viel Freude sonnt, steht das Lebensende zunehmend im Schatten. Es braucht Mut sich auch diesem Lebensabschnitt bewusst zuzuwenden, Momente der Freude, des Kontaktes und auch der Erinnerung zu schaffen.
Mag man es drehen und wenden, wie man möchte - die Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit steht automatisch mit im Raum.

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Kleine, zarte Omi...
Ich wünsche mir etwas für Dich und ich hoffe, dass es sich erfüllt. ♡

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