Neue Eisfront im Frühjahr

Es ist der letzte Tag unserer Probenlagerwoche der Musikschule. Vier Tage lang haben 7- bis Ü50-jährige Musikschüler neue Stücke gelernt und erprobt sie gemeinsam zu spielen. 
Nun am Spätnachmittag soll gleich das Abschlußkonzert beginnen. Vier verschiedene Gruppen von Akkordeonanfänger bis zum Orchester werden gleich ihre Neuheiten präsentieren. 
Doch zunächst werden Hände geschüttelt. Es wird gegrüsst, gelacht und gescherzt. Kleine und große Leute umarmen einander auf das Herzlichste. So manche Eltern oder auch Kinder verdrücken das ein oder andere Tränchen vor lauter Wiedersehensfreude! 

Der Konzertsaal wird voll - so richtig voll! Mir wird seltsam im Kopf und ich bemerke, dass ich offenbar schon eine ganze Weile viel zu flach atme. Ich stehe am Ende des Saales in einer ruhigen Ecke. Will versuchen, mich an die Situation zu gewöhnen. Dennoch ist der Raum nicht nur voll und recht warm, sondern auch voll mit "Triggern". Eltern sind gekommen, Geschwister, Omas und Opas... 
Von meinen Leute kommt niemand. Das muss auch gar nicht sein. Dennoch zieht der Gedanke durch mein Hirn, ob und wann sich meine Eltern je für meine Hobbies interessiert haben. Ja, sie waren mal bei Konzerten dabei vor dem Kontaktabbruch - schon, um auch die Enkelin dabei zu sehen. Aber früher, als ich Kind war...? Leere, keine Erinnerungen dazu. Es war sicher auch nicht so üblich... Die Auftritte unserer Tanzgruppe fanden auf Seniorenfeiern, Schulanfangsfeiern etc. statt. Da waren Eltern von anderen auch nicht dabei, soweit ich mich erinnere.

Das Konzert beginnt mit unseren jüngsten Akkordeonanfängern. Manche spielen erst seit Weihnachten. Sie schlagen sich wacker. Das letzte Stück spielen sie gemeinsam mit den Fortgeschrittenen. Es heisst "Sternensturm" und ist wunderschön. Vor 2 Tagen haben wir es mit 7 Orchesterschülern selbst mal ausprobiert, weil es 6-stimmig ist und eben so zauberhaft. Die ersten Tränen kullern an mir herunter. Das Gefühl in mir rutscht mehr und mehr ins "ich-bin-hier-unter-so-vielen-Menschen-sehr-einsam". Eine meiner "Orchesterfreundinnen" merkt das und nimmt "uns" fest und liebevoll in ihre Arme. Wir schluchzen Anspannung und Erschöpfung der letzten Tage hinaus, was niemandem weiter auffällt, da der Sternensturm vorn mittlerweile ziemlich kräftig geworden ist.

Nach dem der Sternensturm durch meine Seele hindurchgefegt ist, klappt es zumindest mit der Atmung besser. Das Konzert vorn druchläuft seine Spielstufen, bis auch wir mit den Unseren dran sind. Besonderen Bammel habe ich vor dem ersten Stück, einem Medley, für das mir eine andere Orchesterschülerin schon leichtere Noten geschrieben hat. Da sie das noch in höchster Eile erledigt hat vorm Probenlager, sind ihr auf der letzten Seite 2 Fehler unterlaufen, die ich aber auch erst am Vortag bemerkt habe. So suchen meine Finger zu großen Teilen dieses Stückes permanent die richtigen Tasten. Ein Desaster! Denn ich sitze auch noch vorn...
Danach wird es besser. Die 3 neuen Stücke sind insgesamt besser erarbeitet. Nicht perfekt, aber brauchbar.
Als ich am Abend daheim bin, nehme ich nur das Nötigste aus dem Auto, dusche und falle danach wie tot ins Bett.

Anderntags ist zu bearbeiten, was sich in der vergangenen Woche daheim getan hat.
Meine Tochter hatte letztes Jahr im Dezember ihren Kontakt zu meinen Eltern ebenfalls beendet. Beim Osterbrunch am Montag äußerte sich mein Vater nun erstmals dazu gegenüber meinem Sohn (meine Tochter war in der Familie ihres Freundes eingeladen.). Er sagte in etwa: 'Sie könne die Situation zwischen mir und und ihnen als Eltern gar nicht richtig einschätzen, da sie ja keinerlei Lebenserfahrung habe. Außerdem könne sie auf keinen Fall Psychologie studieren oder gar als Therapeutin arbeiten, wenn sie meinen falschen Erinnerungen derart schnell auf den Leim gehe!' (Anm.: Sie möchte Psychologie studieren. Ob sie in die therapeutische Richtung gehen wird, ist noch offen.) Außerdem hat er sich bei meinem Sohn recht fassungslos beschwert, dass 'er für seine Rente über 45 Jahre lang hart habe arbeiten müssen! Er kann daher nicht verstehen, dass DIE (also ich) die Rentenzahlung EINFACH SO erhalte...' 
Natürlich kann ich dabei mit bewusstem Zugriff auf alle Fähigkeiten nur traurig lächeln, wenn ich meines Vaters Worte so erzählt bekomme. Er tut mir dann einfach nur Leid und es zeigt, wie sehr gescheitert seine eigene Existenz hierbei ist.
Ansonsten sieht es ganz anders in mir aus! Seine Worte wirken wie ein extremes Gift in mir... Alte Mechanismen springen an. Denn nicht ich, sondern er hat Recht. Er hat die Macht. Ich bin zu faul zum Arbeiten. Ich verbreite Lügen. Ich ziehe meine Kinder da mit hinein und versuche sie zu beeinflussen - sie zu zwingen, sich zwischen mir und meinen Eltern zu entscheiden!!!
Groß ist der Teil, welcher glaubt, 'er/sie stelle sich mal wieder nur an.' Dieser Teil meldet sich auch gleich heute noch auf eine neue Arbeit an, egal ob das geht oder nicht. (Da allein der Körper schon bis 9 Uhr gebraucht hat, um aus dem Montagmorgenkoma herauszukommen, wird daraus nichts...)
Meine Mutter fragte meinen Sohn nochmals, ob er denn nicht auch glaube, dass ich wieder zurück komme... (Ich bin ja da, für ihn, aber eben nicht für sie und ihren Mann.)
Neu ist an dieser Konstellation tatsächlich, dass seit dem Kontaktabbruch 2016 erstmals mein Vater überhaupt das Wort ergreift!!! Über die ganzen Jahre war meine Mutter im Vordergrund, wenn sich mal etwas tat. Mein Vater blieb wie ein Geist im Nebel. Da mir mein Vater ähnlicher ist und in der Kindheit in so mancherlei Beziehung doch näher stand als meine Mutter, treffen mich seine Worte noch mehr, als ihre...

Der innere Kritiker wettert seither, dass ich ja auch voll arbeiten könne, wenn ich ins Probenlager fahre und im Orchester spiele. (Das dies ohne das Containment durch meine Mädels und so manche Ausnahme und Sonderstellung überhaupt nicht möglich wäre... huch, naja...)

Auf jeden Fall möchte ich mich hier bei meinen Mädels und auch bei meiner Akkordeonlehrerin (und unserer Orchesterleiterin) bedanken, die mir das immer wieder ermöglichen. ♡ DANKE ♡

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PS: Meine Mutter ist nur adipös, weil sie mit mir schwanger war. Davor war sie immer sehr schlank - eher zu dünn. Ich habe ihre Figur ruiniert...  👍🏼 Genau!

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